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27.07.2016

Doktor ahoi

Doppelzweier ahoi: Julius Gerstmeyer (vorne) und Doktorvater Prof. Dr. Stephan Ensminger (Foto Armin Kühn).

Projekt mit Weitblick: Mit seiner Forschungsarbeit steuert Julius Gerstmeyer (24) nicht nur den Doktorhut an, sondern zeigt auch neue Möglichkeiten für die Patientensicherheit auf.

Ein einziges Bild kann manchmal eine ganze Geschichte erzählen. Das Foto, das wir machen wollen, soll Julius Gerstmeyer mit Prof. Dr. Stephan Ensminger zeigen, am liebsten im Ruderboot, das die beiden gemeinsam steuern. Die Geschichte soll davon erzählen, was es bedeutet, einen guten Doktorvater zu finden. Und davon, dass ein Medizinstudent den Leistungssport an den Nagel hängt, um sich ganz dem Studium und der Forschung zu widmen. Jetzt ist die Doktorarbeit fertig. Und die Ergebnisse sind so vielversprechend, dass viele Herzklappenpatienten in Deutschland davon profitieren könnten. Das ist vielleicht die eigentliche Geschichte, die dann hinter dem Foto steckt. Aber soweit ist es noch nicht. Erst muss man sie doch lesen.

Im Herz- und Diabeteszentrum NRW (HDZ NRW), Bad Oeynhausen, werden unter der Leitung von Prof. Dr. Jan Gummert die meisten Herzklappenoperationen in Deutschland durchgeführt, mehr als 1.400 waren es im vergangenen Jahr. Gummert hat die minimalinvasiven herzchirurgischen Eingriffe in Bad Oeynhausen fest etabliert, darunter den kathetergestützten Ersatz der Aortenklappe (TAVI), der gemeinsam von Herzchirurgen und Kardiologen im HDZ NRW durchgeführt wird. Das Verfahren bietet sich besonders bei Patienten an, deren Operationsrisiko aufgrund des fortgeschrittenen Alters oder aufgrund von Begleiterkrankungen sehr hoch ist. Zu den gefürchteten Komplikationen zählen Schlaganfälle, die unter anderem durch das Einbringen und Entfalten der Prothese entstehen können, wenn sich Kalkablagerungen an den Gefäßwänden lösen.

Nun möchten Patienten in aller Regel vor der Operation wissen, wie groß ihre Aussichten sind, den Eingriff unbeschadet zu überstehen. Oberarzt Professor Dr. Stephan Ensminger kann in den allermeisten Fällen beruhigen: „Die hohen Erfahrungswerte im HDZ lassen bereits relativ sichere Aussagen über die erzielbare Lebensqualität zu." Wenn man jedoch noch mehr über die Kalkbewegungen während der Implantation einer Transkatheterklappe wüsste, so fand er, wäre dies eine große Hilfe, um das individuelle Operations- und Komplikationsrisiko zukünftig noch besser einschätzen zu können.

Den richtigen Zeitpunkt zu erwischen, kann entscheidend sein für den Chirurgen. Für den Patienten auch, aber das ist nicht die Geschichte. Julius Gerstmeyer ist fasziniert vom Rudern, aber auch von der Disziplin der Chirurgie. Als für den WM-Teilnehmer und mehrfachen Silber- und Bronzemedaillen-Gewinner bei den Deutschen Meisterschaften der Moment der Entscheidung kam, da hat er nicht gezögert. Er legte den Ruderriemen beiseite, um sich ganz auf sein Medizinstudium an der Ruhr-Universität Bochum (RUB) zu konzentrieren und auf seine Doktorarbeit, die ihm im Herz- und Diabeteszentrum, Uniklinik der RUB, angeboten wurde. „Es war eine schöne Zeit im Nationalkader, aber mit spätestens 30 Jahren wäre ohnehin Schluss gewesen. Man muss sich langfristige Ziele setzen," sagt der 24-jährige Mindener. Es sollte mehr geben als 2.000 Meter in gut sechs Minuten zu rudern. Obwohl das ja auch sehr viel heisst.

In seiner Forschungsarbeit geht es zunächst um Analysen der Computertomographie. Mit diesem bildgebenden Verfahren kann die Kalziummasse bewertet werden, die sich an der Herzklappe selbst und den Gefäßwänden befindet. Wenn man hier die Kalzium-Ablagerungen vor und nach der Operation bestimmt, sollten sich exakte Aussagen darüber treffen lassen, in welcher Weise diese sich während des Eingriffs verschieben und auch darüber, ob dies mit erhöhten Gefahren wie einem Schlaganfall oder im schlimmsten Fall einem Einriss des Aortenklappenrings für den Patienten verbunden sein kann. Soweit die Theorie.

Rund 100 Datensätze von Patienten hat Julius Gerstmeyer erhoben und ausgewertet. Eine besonders komplizierte Forschungsleistung ist es, die Datenmengen so miteinander zu verknüpfen, dass daraus wissenschaftlich fundierte Resultate abgelesen werden können. Dazu ist eine sehr hochwertige CAD Software notwendig, die speziell auf die für Herzklappenpatienten wichtigen Forschungsfragen ausgerichtet und programmiert wurde und die unter anderem eine dreidimensionale Herz- und Gefäßdarstellung erlaubt. Im experimentellen Teil seiner Forschungsarbeit stellen sich Gerstmeyer auch viele technische Fragen zum Prozess der Implantation. Welche Kräfte wirken, wenn sich eine entfaltbare Katheterklappe durch ein Gefäß bewegt. Wie sollte diese Klappe idealerweise beschaffen sein? Welche Materialeigenschaften wirken sich günstig aus?

Die Ergebnisse seines Forschungsprojekts durfte Julius Gerstmeyer bereits im vergangenen Jahr erfolgreich auf der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie in Freiburg vorstellen. Das Interesse daran, die TAVI-Prozedur zu perfektionieren, ist gegenwärtig sehr groß.

„Inzwischen können wir sagen, dass unsere Patienten von diesen Erkenntnissen in hohem Maße profitieren," sagt Professor Ensminger, der Gerstmeyer als Doktorvater jetzt über fast drei Jahre begleitet und wertvolle Tipps gegeben hat. „Unter anderem wissen wir, welche Klappe bei welchem Patienten besonders gut geeignet ist und wann sich wieviel Kalzium in welche Richtung der Hauptschlagader bewegen wird. Je nach Ergebnis der individuellen Voruntersuchung können wir dazu sehr genau einordnen, bei welchem Patienten der TAVI-Eingriff den größten Erfolg versprechen wird und in welchen Fällen wir davon abraten sollten." Ensminger nennt das „vorausschauende Herzchirurgie" und freut sich, dass das von seinem Doktoranden zusammengetragene Wissen einen so unmittelbaren Benefit für die Patienten hat. Gerstmeyers wissenschaftliche Arbeit ist nunmehr vollendet und wird demnächst in einem Fachjournal veröffentlicht.

Der einsame Forscher in seinem Studierzimmer ist zwar ein gängiges Motiv, aber in Gerstmeyers Fall entspricht es ganz und gar nicht der Wirklichkeit. Deshalb ist es jetzt auch an der Zeit, neben dem Weitblick des Doktorvaters all diejenigen zu erwähnen, die den Studenten bei seiner Dissertation besonders intensiv unterstützt haben. Ohne die großartige Zusammenarbeit mit dem Helmholtz Institut der Rheinisch-Westfälischen Technischen Universität in Aachen wäre das nicht möglich gewesen, sagt er. Hier hat Dr. Max Kütting aus dem Institut von Professor Ulrich Steinseifer sein umfassendes technisches Wissen eingebracht.

Vor Ort im HDZ NRW haben Oberärztin Dr. Smita Scholtz und Assistenzarzt Dr. Buntaro Fujita mit beeindruckender Ausdauer die vielen Fragen zu den Herzkatheterverfahren der Kardiologie und der Bildgebung in der Herzchirurgie beantwortet. Mit allen am Forschungsprojekt Beteiligten wäre mindestens eine Achter-Rudermannschaft mit Steuermann versammelt für unser eingangs erwähntes Wunschbild. „Das wäre aber heikel geworden", sagt Julius Gerstmeyer, denn so ein Achter ist ein eher wackliges Sportgerät, und in unserer Metapher sollte es ja besonders um die Risikoeinschätzung vor der OP gehen, die der junge Wissenschaftler für Klappenpatienten verbessern hilft. Fraglich auch, ob alle so spontan zu diesem Foto bereit gewesen wären wie Professor Ensminger, der als ehemaliger Leistungssportler ohnehin für solche Themen zu begeistern ist. Am Ende ist es dann doch noch ein schönes Bild geworden, aufgenommen in Minden bei Gerstmeyers Heimatverein, dem Bessel-Ruder-Club e.V. – vielen Dank auch dafür. Doktorand und Doktorvater greifen hier beherzt ins Ruder und zeigen zuversichtlich, dass es voran geht mit dem Boot, mit der Forschung, der Patientensicherheit, mit der Karriere in der Chirurgie, und überhaupt.

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